Freitag, 5. Juni 2020

Die hohe Kunst des Briefeschreibens



Ach, meine Lieben

es ist ein schöner Tag für mich, denn gestern kam der Brief meiner Brieffreundin an. Ich mochte das Briefeschreiben schon immer und in meiner Kindheit war es auch noch ein größeres Ding; teilweise ließen wir Luftballons mit unserer Adresse steigen. Hach...das Zeitalter bevor Internet so eine großes Sache wurde.
Schreibt ihr noch Briefe? Oder fragt ihr euch überhaupt, wieso man noch Briefe schreiben sollte? Dann lest mal weiter.

Die meisten Leute, die sich überlegen mal wieder Briefe zu schreiben fühlen einfach die Sehnsucht danach, ihren notwendigen  Briefkasten mal zu öffnen und etwas Anderes als Rechnungen und Werbung darin zu finden. Irgendwas, das Freude macht. Natürlich trifft dasselbe auch auf dein Email - Postfach zu, wo sich vielleicht nur noch die Newsletter irgendeiner Website stapeln oder vermeidliche Versprechungen hoher Gewinne. Oder die gelangweilten kurzen Mails deiner Arbeitskollegen.
Für mich persönlich waren die Gründe anzufangen mit dem Briefeschreiben zweierlei: ich wollte unbedingt all die schönen Dinge haben, die man dafür haben kann - und ich wollte wieder das Gefühl bekommen, mit Jemanden wirklich in Kontakt zu treten. Eine Mail ist schnell, das mache ich mal eben, wenn ich auf den heißen Kaffee warte. Ein Brief ist nicht schnell, ein Brief braucht Zeit. Ein Brief braucht Gedanken, Erinnerungen, Voraussicht und Anteilnahme. 
Ein Brief nötigt dir einen Moment zum atmen ab, weil es ohne ihn nicht funktioniert. Du kannst (und wirst hoffentlich einfach aus einem Gefühl für TAKT heraus) nicht einfach hinhetzen. Du wirst atmen, dich hinsetzen, dich vorbereiten und anfangen. Vielleicht sogar mehrmals.

Doch womit überhaupt beginnen?
Oh ja, die leidige Frage. Also erstmal wäre es gut, wenn du eine Person hättest, der du schreiben möchtest. Das kann eine alte Freundin sein, mit der du vielleicht normalerweise über Telefon oder Email redest (oder die du nachmittags auf einen Kaffee triffst) oder auch ein Verwandter von dir, den du lange nicht getroffen hast und für den die moderne Technik noch immer irgendwas Unverständliches ist. 
Natürlich kannst du auch nach einem Brieffreund suchen. Im Internet, in der Zeitung - deine Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. Wieso im Urlaub an die nette Bekanntschaft statt Telefonnummer nicht mal Adresse rausgeben? Wieso statt Whatsapp auszutauschen nicht einfach mal um die Adresse bitten (oder sicherer, damit sich ein Mädchen nicht bedrängt fühlt, die eigene Adresse ausgeben?)

Wenn du dann die Person gefunden hast, dann geht es an die Überlegung des Wie. Postkarten sind offen, in ihnen darf und sollte dem guten Ton entsprechend nichts Persönliches stehen, was du nicht auch offen auf der Straße erzählen würdest. Daher ist ihr Inhalt häufig eher unverfänglich und als Eisbrecher vielleicht ganz gut geeignet. Ein kurzes "Hallo, sind glücklich zurück in der Heimat. Vermissen jetzt schon das tolle Abendessen bei euch" - kann vielleicht genau der Anreiz sein, der eine zukünftige Brieffreundschaft vom schreiben überzeugt.

Wenn es ein Brief werden soll, dann steht erstmal die Wahl eines Briefpapiers im Vordergrund. Das Buch "der gute Ton" empfiehlt hier normalerweise weißes Papier, das nicht durchscheint. Briefpapier soll seiner Meinung nach möglichst schlicht sein, damit es nicht all zu viel Aufmerksamkeit vom Brief weglenkt. 
Heutzutage ist man dort all zu bereit diese ehemalige Norm über Bord zu werfen und so werden Briefpapiere häufig bunt und mit großen Mustern versehen. Wenn dies deinem Geschmack entspricht (und dem ANLASS DES BRIEFES entsprechend) ist, dann kannst du es gerne so wählen. Doch bedenke, dass dein Brief in erster Linie der Person gefallen sollte, der du ihn sendest. Natürlich darf er deine persönliche Note beinhalten, doch übertreibt es mit ihr nicht, damit du nicht am Ende wirklich vom überdachten Inhalt deines Briefes ablenkst.

Hast du dich für ein Papier und eine Person entschieden, folgt die Anrede. Heute schreibt man praktisch an Jeden, mit dem man privaten Kontakt hält, Liebe oder Lieber. Noch in den 50ern sah das anders aus, hier waren diese Ansprachen Menschen vorbehalten, mit denen man in innigen Kontakt stand. Also bereits sehr guten Freunden, engen Anverwandten oder sonstigen eng mit dir verbundenen Personen.
Bei Bekannten, weiter entfernt Verwandten und anderen Personen wurde die Anrede "Sehr geehrte Frau"; "Sehr geehrter Herr" oder "Sehr geehrtes Fräulein" zu teil. Menschen, die ein gewisses Alter erreicht hatten oder denen aufgrund anderer Dinge besondere Hochachtung entgegen zu bringen war (oder denen du sie zeigen wolltest!), schrieb man mit "Liebe/r und verehrte/r Herr/Frau/Fräulein".
(Aufgrund der heutigen negativen Besetzung des Wortes Fräulein, solltest du auf diese Ansprache außer bei deutlich jüngeren Adressaten (zb. Kindern) verzichten um keinen Anstoß zu erregen - außer die Person ist ebenso "altmodisch" (ich mag das Wort nicht) eingestellt wie du und unverheiratet).

Bevor es noch an den Inhalt geht, steht die Form des Briefes. Empfohlen wurde - ebenfalls im "guten Ton" - die eigene Anschrift noch einmal links oben auf den Brief zu setzen. Briefumschläge können verlegt werden, aus Gedankenverlorenheit entsorgt werden oder beschädigt werden auf den Transportwegen. So behält der Adressat deine Adresse, solange er deine Briefe aufhebt und kommt nicht in peinliches Fragen bei Adressänderungen.
Es werden immer ganze Papiere, niemals Abrisse verwendet. Wenn du wirklich nur einen kurzen Gruß verschicken möchtest, da du theoretisch noch auf eine Antwort wartest und von einem besonderen Anlass (Krankheit, Hochzeit, Geburtstag etc.) gehört hast, dann schicke eine im Umschlag eingepackte Karte.
Schreibe so sauber und klar, wie es dir möglich ist. Wechsel nicht ohne triftigen Grund durch die Stifte und verwende nicht verschiedene Farben, und schon gar nicht solche, die das Lesen deines Briefes erschweren. Versuche deine Handschrift so sauber wie möglich zu halten, also auch Tipex und Killer so weit wie möglich zu vermeiden. Besser fange nochmal von Vorne an; das versteht sich überhaupt von selbst, wenn der Briefbogen irgendwie beschädigt oder beschmutzt wurde. 
Wenn du eine neue Antwort gibst oder einen neuen Gedanken beginnst, mache einen neuen Absatz. Oder lass auch einfach mal eine leere Zeile, damit dein Brief kein unstrukturierter Fließtext wird. Das möchte - und wird - wohl auch Niemand aufmerksam lesen und es ist der Person nicht einmal zu verdenken.
Lasse auch am Besten einen Rand auf beiden Seiten, da dies deinen Brief geordneter erscheinen lassen wird.

Überlege dir den Inhalt deines Briefes vorher, damit es nicht zwei Absätze später wieder um deine Katze geht, wenn du es auch direkt im ersten Absatz über sie hättest unterbringen können. Ergeben sich Neuerungen, kannst du sie noch immer in ein kurzes PS packen. Und hier ist auch ein Wort der Warnung: auch wenn es in vielen sehr alten Briefen so vorkommt, halte ich persönlich ein möglichst kurzes PS für sehr viel anständiger als nochmal einen eigenständigen Brief ins PS zu setzen!
Strukturiere ihn in Absätze um die Lesbarkeit zu erleichtern und dem Leser die Möglichkeit zu geben deinen Gedankengängen zu folgen. 
Stelle Fragen an die Person, zu ihrem letzten Brief, über ihr allgemeines Empfinden oder ähnliche Dinge. Gibt ihr Anstoß, worüber sie dir schreiben könnte. Schreibe über Gemeinsamkeiten oder leichtere Angelegenheiten deines Lebens (den Geburtstag deiner Nichte, die wunderschöne Hochzeit deiner Tante, das neue Haustier etc.) und vermeide Klatsch und Tratsch wo möglich. (Wenigstens in den ersten paar Briefen, wenn es an einen Leser geht, mit dem du bisher so gut wie nicht bekannt bist. Danach kannst du auch EIN WENIG persönlicher werden.)
Unterzeichne deine Briefe immer höflich und freundlich; von einem persönlichen Gespräch würdest du ja auch nicht ohne Verabschiedung verschwinden. Ein Brief ist nichts Anderes, als ein persönliches Gespräch in geschriebener Form.

Der Briefumschlag ist wieder deiner persönlichen Gestaltung überlassen, sollte aber nicht überladen sein. Wenn er so bunt und grell ist, dass der Postbote die Adresse nicht finden oder der Automat die Briefmarken nicht erkennen kann, dann hast du es übertrieben. 
Frankiere deinen Brief ausreichend. Nichts kommt ärgerlicher, als wenn er nicht ankommt, weil du knauserig warst oder der Abholer eines Paketes noch Porto nachbezahlen muss. 
Die Adresse des Empfängers setzt du links vorne auf den Brief, Briefmarken klebt man in die rechte obere Ecke - ebenfalls vorne. Deine eigene Adresse kannst du hinten auf dem Brief erneut vermerken - wo, darüber scheiden sich die Geister. 

So fertig kann dein Brief dann auf die Post und lässt irgendwo Jemanden lächeln, wenn er seinen Briefkasten öffnet. Und wer weiß, vielleicht findet dann auch diese Person ein wenig Muße und einen kurzen Atemzug in ihrer von Hektik und Technik dominierten Welt um mal wieder einen ganz altmodischen Brief zu schreiben.

Ich freue mich übrigens in den Kommentaren über eure interessantesten Briefgeschichten oder eure schönsten Beispiele für gut durchdachte freudemachende Briefe. 

Bis dahin,
eure Barefoot & Pregnant

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